Regie Ridley Scott / USA 2023 / FSK 12 / 158 Min.

Drehbuch David Scarpa

Mit Joaquin Phoenix / Vanessa Kirby / Ludivine Sagnier / Tahar Rahim / Ian McNeice

Produktion Scott Free Productions / Apple Studios

 

„Was tragen sie denn da für ein wundersames Kostüm?“ „Das ist kein Kostüm, das ist meine Uniform.“ Als diese erste Unterhaltung geführt wird zwischen Napoleon und Josephine, ist in Ridleys Scotts neustem Spielfilm Napoleon nur wenig Zeit ins Land gezogen. Der Kern dieser Unterhaltung mit Napoleons späteren Frau Joséphine de Beauharnais markiert gleichermaßen den Anfangspunkt und den Endpunkt des Themas, dessen sich Scott verpflichtet fühlt in den Fokus des Films zu rücken. Es beginnt und endet mit der Figurenzeichnung des Napoleon, dessen auffallende Uniform kein bloßes Kleidungsstück darstellt. Diese erste Unterhaltung ist so simpel wie unausweichlich um Napoleons Handeln zu verstehen. So verblüfft es auch nicht das Ridley Scott in der letzten Szene, nur die Silhouette von Napoleon in Schwarz und Weiß hüllt um den Film langsam ausklingen zu lassen. Kaum eine Figur in der Weltgeschichte ist so eindeutig zu ermitteln anhand seiner unverkennbaren Silhouette als die vom Franzosen Kaiser.

Als Beschützer Frankreichs und Diener des Volkes als der er sich sieht symbolisiert seine Uniform mit dem grauen schlicht gehaltenen Reitmantel und schwarzem Zweispitz, nicht gar schales schmuckes Beiwerk. Gewisser maßen bildet dieses „Outfit“ Napoleons Charakter ab, der ihn sein Leben lang im engen Würgegriff halten wird, aus dem es kein Entkommen gibt, getrieben von Anerkennung und Ruhm. Mehr noch als der legendäre Zweispitz setzt der prägnante Reitmantel ein deutliches Zeichen: Der neue Herrscher über Europa bleibt seinen Truppen und damit dem Volke nah. Napoleons Reitmantel war das visuelle Propagandainstrument seiner Herrschaft, die jederzeit zum Krieg bereit war. Ausziehen wird er diese Uniform zu keinem späteren Zeitpunkt, auch wenn er sich entkleidet, bleibt sie dennoch imaginär an ihm haften. Was spärliche Szenen im Privatleben von Napoleon belegen in denen er beim Kinderwunsch nicht gar an das eigene Glück denkt, sondern stets darauf bedacht ist einen Nachfolger für das Volk Frankreichs zur Welt zu bringen. Nicht etwa aus Liebe zu seiner Josephine, die er nicht mehr als weiteren Besitz sieht sowie zur Sicherstellung der Weiterführung seiner Gene, sondern aus Pflichtgefühl zu Frankreich.

Das er nicht aus seiner Uniform entfliehen kann, die zu seinem Charakter wird, ist Segen und Fluch zu gleich. So katapultiert er ihn vom einfachen Befehlshaber durch die Schlacht um Toulon gegen die königstreuen Royalisten, zum Brigadegeneral zur Zeit der französischen Revolution bis in die höchsten Ämter Frankreichs durch sein militärisches Talent. Macht aber auch sein verderben auf Raten unausweichlich, beginnend mit dem Russland Feldzug zur Winterzeit, bei dem er mal als 450 000 Soldaten verlor bis zu seinem finalen Untergang im damaligen Holland und heutigen Belgien. Immerhin ist so die landläufige Redewendung zu Waterloo entstanden. Ridley Scott ist weniger bestrebt ein klassisches Schlachtenepos Kino zu erzählen als vielmehr dem Versuch sich der Person Napoleon zu nähern durch die Beziehung zu Josephine. Weniger ausufernde heroische Schlachten, mehr Dialog bevölkern dadurch vermehrt die Leinwand. Immer wider kreisen alle Handlungsstränge zwischen Napoleon und Josephine umher. In wie weit das Historisch akkurat überliefert ist, sind dabei nicht der entscheidende Punkt für Scott. Hier setzt er seinen Anker für Napoleons Antrieb fest, der ihn zur Höchstform auflaufen lässt oder ihn auch zuweilen am Boden zerschellen lässt. Wer nach dem sichten des Trailers noch hoffte auf einen Film, der wie einst Gladiator von Spannung und Schlachten lebte wird bald ernüchternd im Kinosessel oder auf der heimischen Couch, weil Apple Produktion zusammenzucken. Hier wird schnell klar das die zentralen Themen sich auf andere Dinge konzentrieren. Actionlos kommt Napoleon freilich dann doch nicht da her, so ist selbstredend die hervorragend in Szenen gesetzte Schlacht a, gefrorenen See in Austerlitz in Österreich zu nennen. Darüber hinaus wird nichts Episches geboten. Teils sogar mitten im Ansturm Napoleons zu Pferd abgeblendet um sich wieder an der Station seines Lebens abzuarbeiten. Es gibt viel zu erzählen und so wird man den Eindruck nicht los, dass da die Schlachten doch ein wenig hinten runter fallen müssen um Platz für andere Dinge zu schaffen.

Doch wie zeichnet man ein Leben nach, einer übergroßen Figur des frühen 19. Jahrhundert, von der man heute noch spricht, um dieser gerecht zu werden? Scott wählt hier diesen vielleicht unorthodoxen Ansatz um sich ihr zu nähern, dabei arbeitet er sich an den Stationen des Lebens ab und setzt den Kern des Antriebs in die Geschichte zwischen Napoleon und Josephine. Wäre man nicht wohlwollend und davon wird es einige Menschen vor den Bildschirmen geben könnte man den Kritikpunkt ins Felde führen das Napoleon ständig alles Stehen und liegen lässt, wenn der Name Josephine in seinen Gehörgang dringt. Was Josephine betrügt mich? Ich muss sofort nach Hause. Josephine fehlt mir. Ich muss sofort zurückkehren. Dieses Muster wiederholt sich oft im Laufe der über 150 Minuten Laufzeit unentwegt. Andersherum gefragt, wäre der Film Napoleon interessanter würde Scott von Schlacht zu Schlacht erzählen? Heroische Kämpfe, blutige Kriege zwischen Ländern zu Operetten Stilisieren?

Trotz dieser Fokussierung auf die Beziehung der beiden fehlt es dem Film deutlich an wärme. Selten war ein Ridley Scott Film so kalt wie der blutbefleckte Boden eines Schlachtfeldes in Russland. Selbst die bittere Entscheidung zur Trennung von Josephine kann dem Zuschauer nicht die Tränen entlocken, die hier angebracht wären, sowie sie auf Napoleons Wangen aufblitzen. Hier wird gestorben und geboren nur leider ohne, dass es erfahrbar wird. Hier werden kaum Gefühle gepflanzt zwischen den Beziehungen der Menschen, sodass sie am Ende auch nicht geerntet werden können beim Zuseher. Was aber auch darin begründet sein kann, dass es eben dem pragmatischen Denken Napoleons geschuldet ist, ergo mit Absicht als Stilmittel bemüht wird um dieses Denken auf die Spitze zu treiben. Die Szenerie der Scheidung ist dabei nur ein weiterer Akt im Leben von Napoleon bei dem gezeigt wird, dass es ihm nicht um Gefühle geht zu seiner Frau, sondern um die Pflicht gegenüber Frankreich. Da wird schonmal geohrfeigt um Frankreichs Willen. So kommt Napoleon nie auf Temperatur und bleibt immer etwas unterkühlt. Distanziert und beobachtend, bestenfalls bürokratisch und pragmatisch im Spiel der Beziehungen zueinander. Ob beim Menschen oder den Ländern, die entweder paktieren aus Machterhaltugszwecken oder auseinander gehen aus denselben Gründen um mit anderen Mächten zu koalieren. Dem Pragmatismus wird stets alles untergeordnet. Wie Robert Lembke einst bemerkte: „Bei Pragmatikern richten sich Ansichten und Absichten nach den Aussichten.“ Oder auch Wilfried Grunau in seinem Essay zum Thema Pragmatismus dazu ergänzte „Jeder, der ein höheres Ziel erreichen und dabei möglichst viele Menschen einbeziehen möchte oder muss, kommt am pragmatischen Denken und Handeln nicht vorbei. So gesehen ist Pragmatismus durchaus eine positive Charaktereigenschaft. „Nicht der Wissende, sondern der Handelnde ist glücklich“, soll ja auch der Philosoph Seneca einst festgestellt haben. Man darf dabei vor lauter flexibler Dynamik eben nur nicht das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren.“

Ein pragmatischer Film, der sich vollends dem Charakter Napoleons verschreibt und sich dessen einverleibt um es ihm gleich zu tun in seiner Erzählweise. Phoenix wird zu keiner Zeit herausgefordert etwas Außergewöhnliches zu leisten, sein Schauspiel erfüllt den Zweck, den es zu erfüllen gilt. Keine Regung zu viel, kein Wandeln auf den Spuren früherer Glanzleistungen. So wie Scott Napoleon anlegt blieb ihm wohl auch keine andere Chance als pragmatisch, zweckdienlich zu spielen. Sein persönliches Waterloo erlebt Scott mit Napoleon sicherlich nicht. Ihm gelingt damit aber auch kein erneuter Aufstieg in den obersten Spähern, in denen er vor langer Zeit einst heimisch war. Man könnte auch pragmatisch zum Entschluss gelangen das man Napoleon gesehen haben muss im Kinojahr 2023 um bei der 95. Verleihungen der Oscars im Dolby Theatre in Los Angeles mitreden zu können.