Regie John Woo / USA 2023 / FSK 18 / 104 Min.

Drehbuch Robert Archer Lynn

Mit Joel Kinnaman / Kid Cudi / Catalina Sandino Moreno / Harold Torre

Produktion Thunder Road Pictures

 

Wenn mit „Ohne Worte“ nicht einzig und allein das Alleinstellungsmerkmal eines Films beschrieben werden kann und der damit einhergehenden Absicht des Regisseurs auf den Verzicht des gesprochenen Worts über die volle Laufzeit. Sondern damit treffender etwas über die Qualität des Produktes ausgesagt werden kann, dann werden wir Zeuge wie John Woo mit seinem Comeback in Hollywood, im Begriff ist seine letzte Patrone zu verschießen, die ihm in der rostigen Trommel geblieben ist. Dabei wirft er sich mit der Frage, ob ein Action Film funktionieren kann indem nahezu kein einziges Wort über die Lippen aller Beteiligten huscht, selbst Eisenstangen zwischen die Beine. Limitiert man sich rein auf nonverbale Kommunikation muss das Augenmerk besonders auf derselbigen liegen um mit dem Zuschauer eine emotionale Bindung eingehen zu können. Mit dem spiel von Mimik und Gestik der Akteure, im Deuten von Nuancen, im Erschaffen von Momenten derer es keiner langen Gespräche bedarf hält Woo eine Aufgabe für den Zuseher bereit für die es keine Lösung zu geben scheint, denn hier sitzt der Zuseher vor einer unlösbaren Aufgabe, es gibt sie schlicht nicht, dieses Momente aus Mimik und Symbolik die ohne das gesprochene Wort Emotionen und Stimmung erzeugen.

Manchmal blitzt sie dann doch auf, diese Genialität von Woo, die sich unter all dem filmischen Rost und der Schmach der Mittelmäßigkeit seiner letzten Werke angesammelt hat, lauernd um vom aufmerksamen Konsumenten befreit zu werden. In Szenen, wenn sich aus einer fallenden Träne der trauernden Mutter im Gegenschnitt zum Ehemann eine leere Patronenhülse formt, während sie sich den Weg aus dem Lauf einer Glock 17 sucht und am Boden zerschellt. Woo kann diese Momente, Silent Night bot dabei genügend Leinwand für eine Rückkehr ins gelobte Land, doch bleibt selbige am Ende leer. Am Ende der Reise in Silent Night verleugnet Woo sein Konzept sogar selbst indem es dann doch noch derer Worte bedarf, um die angestrebte Gefühlswelt zu vermitteln für die das Mimen spiel der Künstler zu limitiert schien.


Das rote Groll Emoji


Woos aktuelle Leinwand, auf der er seine minimalistische Story skizziert, bewusst möglichst klein gehalten wohl auch aufgrund des Dogmas, welches sich er sich selbst auferlegt hat, bedarf es weniger Worte um sie in Gänze zusammenzufassen. Als eine verirrte Kugel aus dem Lauf zweier sich bekriegenden Gangmitglieder, den Sohn des Hauptdarstellers (Joel Kinnaman) tötet und ihn selbst am Hals so schwer verwundet sodass er seine Stimme verliert. Sinnt er auf Rache im Gang Milieu. Das auf Rache sinnen, nimmt dann samt träge inszeniertem Trainingsmode mit feuern am Schießstand, mühsamen Bodyworkout aus der Vorkriegsära und Donuts ziehen mit einem Mustang, die erste Stunde des Films ein. Grimmig stapft Joel Kinnaman durchs Bild, grimmig wird der Körper gestählt in Vorbereitung auf das Unvermeidbare, grimmig gedriftet was der Reifen hergibt, grimmig sind die Tage. Wo ein tieferes Abtauchen ins Seelenleben des Vaters in Silent Night die Chance bot echte Gefühle zu Tage zu fördern durch pointiertes Acting, vergibt Woo ein ums andere Mal die Chance diese Brücke zu bauen die ins Innere des Vaters führt. Den Krieg den Joel Kinnaman gegen sich selbst kämpft, den Schmerz, den er nicht teilen kann, die Verzweiflung, die in ihm tobt, all das sind Emotionen, die es mit Schauspiel anzufüttern galt. Wo ein Travis Bickle in Taxi Driver noch über sich hinauswuchs mit einer herausragenden Performance, bleibt in Silent Night nur der redundante Gesichtsausdruck des Grollens. Solange bis den grimmigen Mann im Spiegel zum einzigen Weggefährten wird am Ende übrigbleibt. Ähnlich wie seiner Frau, die es nicht mehr aushielt dürfte und ging dürfte es auch dem eine oder anderen Zuschauer ergangen sein. Groll auf Dauer bietet wenig Facetten. Einer erfolgreichen Kariere anstelle des roten Groll Emoji auf dem Smartphone Tastatur stünde Joel Kinnaman dagegen nichts im Wege.

Apropos Emoji, Silent Night verhält sich in etwa sowie eine Textnachricht die zusätzlich noch ein Emoji benötigt um dem geschriebenen auch die richtige Emotion zuzuordnen, nur hier ist es andersherum, für das grollende Emoji hätte der Zuseher Kontext in Form eines gesprochenen Dialogs gebraucht um eine gewisses Maß an Empathie zu entwickeln, welcher der Film schlussendlich benötigt um den Payoff ein zu lösen. Ohne Worte auszukommen ist durchaus eine ambitionierte Herangehensweise an einen Film, wenn man dem Sprachforscher Wittgenstein Glauben schenken möchte der in seiner Logisch-Philosophischen Abhandlung 1921 Sagte: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“ Der damit meinte das In letzter Konsequenz der Mensch mit seiner Sprache per se an Grenzen des Beschreibbaren und erklärbaren stößt. Wie solle man Farbtöne, Geräusche, Schönheit, Bosheit, Furcht und Schrecken sprachlich darstellen? So bleibt doch jede Sprache für sich gefangen im Korsett des beschreibbaren. Geht man noch einen Gedankengang weiter, ist Sprache auch unter anderem dafür verantwortlich wie wir Dinge wahrnehmen. Im Russischen beispielsweise gibt es nicht die Farbe Blau. Dort wird mit zwei verschiedenen Wörtern zwischen Hellblau (goluboi) und Dunkelblau (siniy) unterschieden. Und wie Versuche gezeigt haben, sind russische Muttersprachler dadurch in der Lage, Unterschiede zwischen einem eher hellen und einem eher dunklen Blauton schneller zu erkennen als Englischsprachige. Dazu bemerkt Sprachwissenschaftlerin Constanze Weth ergänzend : „Die Farben haben in verschiedenen Sprachen je unterschiedliche Bezeichnungen, und deshalb werden sie auch unterschiedlich wahrgenommen“, Der Kern dieser Erkenntnis beschreibt dann wiederum das nur die Symbiose aus Sprache und bewegten Bilder im Zusammenspiel ein vollständiges Bild abbilden können. Den jeder Teil für sich allein offenbart nur umso mehr die Abwesenheit des anderen um vollkommen zu sein. Woo rationalisiert hier Drehbuchbedingt ganz bewusst den einen der Teil dieser Medaille um den Versuch zu wagen in wie weit die Abwesenheit von Sprache im Actionkino funktionieren kann. In Teilbereichen mag er damit die Frage beantwortet haben, Filme wie John Wick 4 belehren uns ein ums andere mal das Bilder für sich sprechen können, wenn man den Tanz zwischen Licht und Schatten beherrscht. Wohlwissend um die Macht der Worte fallen in John Wick deshalb auch nicht nur ausschließlich Patronenhülsen zu Boden sondern auch Worte. Manch ein Drehbuchautor versteht sich in der hohen Kunst darin Dialoge zu erschaffen die sich so anfühlen als wurden nicht Worte fallen, sondern Schüsse.

Woo da F!?%


Heroischen Kugelhagel oder Gun-Fu Fights wie einst zu den guten alten Woo Zeiten mit Filmen wie „The Killer“ „A better Tomorrow“ oder „Hard Boiled“ präsentiert er uns hier zu keiner Sekunde. Was auch eigenen Aussagen zufolge beabsichtigt zu sein schien, nur was er da so an Action Momenten zeigt genügt nicht einmal dem Standard, welcher mittlerweile im Zeitgenössischen Actionkino etabliert ist. Hierbei ist dann auch am Ende des Tages irrelevant ob sein Hauptdarsteller oder die gesichtslose Masse seiner Kontrahenten etwas zu sagen hätten oder nicht. Es spielt einfach keine Rolle, bietet ferner auch keinen Mehrwert durch mehr Worte. Oft neigt Silent Night hier und da, selbst im eigenen Kontext begriffen zur Unlogik. Wenn dafür stellvertretend eine Szene herhalten darf die wie folgt im Film zu bestaunen ist. Grimmiger Joel Kinnaman rast inmitten einer Gangschießerei, die er zum Anlass nimmt um aus dem Auto heraus in Drive by Manier Gangster zu richten indem er wilde Donuts fabriziert unmittelbar zu ihren Füßen. Dabei trifft weder ihn eine Kugel noch scheint sich irgendjemand für seine Anwesenheit zu interessieren ehe eine Kugel im eigenen Körper von ihr zeugt.
Was als Experiment auf dem Papier für einige Studiobosse nach dem nächsten großen Ding geklungen haben muss, zündet im fertigen Film dann so gar nicht. Wenn spätestens nach einer Stunde Laufzeit Silent Night von Wittgensteins Thesen eigenholt wird verkommt er zur Geduldsprobe für den Rezipienten. Woo hat wohl im Herbst seines Schaffens seine eigenen Grenzen so weit ausgelotet wie er konnte und scheint daran zu scheitern. Woos Vorstellung als gefeierter Action Regisseur des Genre Meilensteine geschaffen hat bedarf es keiner Worte, Silent Night hätte selbige gutgetan, aber wohl nicht gerettet.